Ristorante „Il Punto“: Eine deutsche Zeitreise

von Heidi Müller

„Das Leben schenkt mir Menschen“

Jeder von uns hat seine Bestimmung. Da ist er sich absolut sicher. Eigentlich wollte der im sizilianischen Camporeale geborene Giuseppe Perna Jurist werden. „Wegen meiner Veranlagung für soziale Gerechtigkeit,“ sagt er. Dann schickte ihn sein Vater aufs Internat mit angeschlossener Hotelfachschule. Da war er gerade mal 14 Jahre alt.

Mit dem Diplom in der Tasche geht er nach Mailand, arbeitet als Kellner. Als er seinem Bauchgefühl folgt und seinen ehemaligen Lehrer im Internat besucht, fällt sein Blick auf einen weißen Briefumschlag auf dessen Schreibtisch. Er entziffert „Hotel Steigenberger, Bonn“. Intuitiv bewirbt er sich: in diesem unbekannten Bonn, auf italienisch. „Zwei Wochen später erhalte ich eine Antwort: Caro Peppe, wann kannst Du kommen? Gruß Mimmo Cusenza. Ein Mitschüler aus dem Internat.“ Zufall?

Er weiß es noch wie heute: „Am 8. März 1977 fahre ich nach Palermo, nehme um 10 Uhr den Zug nach Milano. Nach 22 Stunden Fahrt erreiche ich dann am 9. März um 8 Uhr Milano. Um 21.45 Uhr komme ich in der damaligen Bundeshauptstadt an.“ Eine Zugfahrt in ein neues Leben.

In den nächsten drei Jahren betreut er die Bonner Politprominenz und ihre internationalen Gäste auf diversen Staatsbanketten im Steigenberger, in der Villa Hammerschmidt und im Gästehaus Schloss Gymnich. Dann wirkt er im Hotel Bristol. Dort waren häufig Gäste des Auswärtigen Amtes untergebracht. Was könnte er alles erzählen: Bundespräsident Walter Scheel, Bundeskanzler Helmut Schmidt, Herbert Wehner, Bundeskanzler Helmut Kohl, US-Präsident Jimmy Carter, Ägyptens Präsident Answar Sadat... Sie alle hat er als Gäste betreut. Peppe Perna ist ein Oszillator der Bonner Republik. Wenn er von damals erzählt, wird einem, der in dieser Zeit geboren ist, ganz warm ums Herz. Plötzlich flackern schwarz-weiß Filme mit Heinz Erhardt und Abendshows mit Hans-Joachim Kulenkampff vor einem auf.

Die Zeitreise geht weiter, führt ihn ins Hotel am Tulpenfeld. Das einzige Hotel direkt im damaligen Regierungsviertel, im Zentrum der Macht. Hier arbeitet auch Ettore Di Pietrantonio aus den Abruzzen als Souschef. „Um 1984 herum spielten wir plötzlich mit dem Gedanken, uns selbständig zu machen“, sagt Peppe Perna. Seine Wurzeln lassen ihm keine Ruhe. „Siziliens Geschichte ist geprägt von der Gastlichkeit und den kulturellen Einflüssen zahlreicher Völker, die die Insel über Jahrhunderte hinweg besiedelten.“ Peppe will selber Gastgeber sein. „Zu der Zeit träumten plötzlich alle von einem Gourmettempel. Jeder, der eine Kneipe besaß, wollte daraus einen Gourmettempel machen“, lacht er.

Der Zeitpunkt ist gekommen. Peppe und Ettore übernehmen die Kneipe „Zur Kastanie“ in einem Ortsteil am nördlichen Stadtrand der Bundesstadt Bonn mit rund 4900 Einwohnern: Buschdorf. Als 1987 ein Restauranttester das „La Castagna“ besucht, bemerkt er zwar, dass es keine Pizza gibt, aber es muss ihm gemundet haben. Nach seinem Besuch geht es steil bergauf, der Italiener in Buschdorf avanciert zum Geheimtipp für die gesamte Region von Bonn bis Köln. Zeit, ein zweites Restaurant zu eröffnen, und zwar direkt im Regierungsviertel: das „Il punto“, Treffpunkt für die Bonner Politprominenz. Mit Kanzlertisch und Kanzlerdiagonale. „Bei uns saßen sich die beiden Kanzler Kohl und Schröder in gebührendem Abstand diagonal gegenüber“, erklärt Peppe Perna. Es würde Drehbücher für Netflix-Serien füllen, würde Peppe Perna erzählen. Tut er aber nicht. Das schätzen auch seine Gäste.

Als Kolumnist Martin S. Lambeck das Il punto dann noch als Edel-Italiener adelt, scheint der sizilianische Gastgeber den Olymp erklommen zu haben.

Dann fällt die Mauer.

„Man muss immer nach vorne schauen“ sagt er und erinnert sich an einen Leitsatz seines weisen Vaters: „Wenn du nach vorne gehst, musst du immer neue Schuhe tragen.“ Er spürt im tiefsten Inneren: Berlin ist meine Bestimmung. Il destino. 2004 zieht Peppe Perna nach Berlin.

Ohne Restaurant. Ohne gastgebende Funktion. Bei einem Spaziergang rund um das Brandenburger Tor sieht er an einem geschlossenen Café ein Schild: Zu vermieten. Mamma mia. Was für ein majestätischer Standort, denkt er und ruft die angegebene Telefonnummer in Frankfurt am Main an. Es meldet sich ..... ein ehemaliger Gast aus dem La Castania in Buschdorf. Am nächsten Tag treffen sich Beide in Berlin. Zufall?

Direkt am Brandenburger Tor eröffnet Peppe Perna sein Berliner Il Punto, muss das Objekt aber wieder dem hungrigen Immobilienmarkt überlassen. Doch er ist sich bewusst, dass er auf neuen Schuhen wandelt. Und erfährt über einen Gast aus Bonner Zeit, dass in der Neustädtischen Kirchstraße eine große Gewerbefläche leer steht. Am 1. Juli 2009 öffnet das Il Punto 2.0 seine Türen.

Die Türen in Peppe Pernas Berliner Destino. Der Zug hat seinen Zielbahnhof erreicht. Auch das Berliner Il Punto erfüllt seine Bestimmung. Es ist Treffpunkt, Schmelztiegel, Epizentrum. Scusi, und natürlich Edel-Italiener. Auch hier werden Entscheidungen getroffen, die die Bundesrepublik Deutschland geprägt haben. Und weiter prägen werden.

Der Nukleus von allem: Giuseppe Perna. Mit Verlaub: Ohne ihn wäre das Il Punto nur ein Edel-Italiener. Erst durch seine Energie wird es zu einem Ort der genussvollen Glückseligkeit. „Momento momento, dazu tragen aber auch Enrico Catapano, mein Geschäftspartner und Küchenchef und unser ganzes Team bei“, betont der Patrone und ergänzt: „Das Erreichen der Zufriedenheit meiner Gäste ist mein Herzensanliegen. Darin finde ich meine innere Zufriedenheit.“

Seit über 55 Jahren kreiert er dieses Gefühl. Seit 40 Jahren bietet er als Gastgeber Emotionen an, betreut seine Gäste mit maximaler Aufmerksamkeit. „Es ist meine Bestimmung, Menschen zu begegnen. Ich bin dankbar für das, was das Leben mir schenkt. Es schenkt mir Menschen.“


Il Punto
Neustädtische Kirchstr. 6 | 10117 Berlin
www.ilpunto.net

Foto: Mohan Tharmalingam, Enrico Catapano, Peppe Perna

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